Didyma
Orakelstätte des Apollo
Didyma liegt an der Westküste der heutigen Türkei in der Nähe der bedeutenden antiken Stadt Milet in der antiken Landschaft Karien. Eine etwa 16,5 km lange heilige Straße verband einst das Delphinion in Milet mit dem Orakelheiligtum des Apollo in Didyma. Dieser Prozessionsweg, der vorbei an Panormos, dem antiken Hafen von Didyma verlief, war gesäumt von Herbergen und Ladengeschäften. Er wurde durch Kaiser Trajan im Jahr 100 oder 101 n. Chr. aufwändig restauriert, wie aus Inschriften bekannt ist. Auch das Heiligtum von Artemis, der Schwester Apollos, ist nicht weit entfernt; Ephesos liegt etwa 60 km - also zwei Tagesreisen - nördlich der Ruinen von Didyma.
Der antike Geograph Pausanias und auch der Geschichtsschreiber Herodot berichten davon, dass ein Orakelheiligtum für Apollo in Didyma bereits seit dem zehnten Jahrhundert v. Chr. bestanden haben soll. Archäologisch lässt sich ein solches Heiligtum jedoch erst ab dem achten Jahrhundert v. Chr. nachweisen. Dieser einfache Tempel (10 x 24 m) enthielt einen Sekos (also einen heiligen Hof), den Altar, die Heilige Quelle und eine Kultstatue des Apollo, die allerdings noch ohne überdachten Schutzbau im Inneren des Sekos aufgestellt war. Ein solcher Schutzbau – ein Naiskos – wurde im Laufe des siebten Jahrhunderts v. Chr. errichtet. Bereits in dieser Zeit genoss das Orakel von Didyma einen überregionalen Ruf. Das lässt sich einerseits an archäologischen Fundstücken ablesen, wird aber auch bei Herodot erwähnt. Die ägyptischen Pharaonen fragten Apollo ebenso um Rat wie der lydische König Krösus.
In den Jahren 560–550 v. Chr. – zur Glanzzeit der ionischen Städte, besonders von Milet – erfolgte dann eine wesentliche Vergrößerung des Tempels. Bei der Errichtung sind Parallelen zu den Tempeln der Hera auf Samos und der Artemis in Ephesos nicht zu übersehen.
Der Tempelbau erhob sich auf einer zweistufigen Basis mit den beachtlichen Ausmaßen von 88 x 41 m. Auf dieser Basis wurde ein Dipteros (Tempel mit doppelter Säulenreihe) mit 21 x 8, bzw. 9 kannelierten Säulen errichtet. Die Säulenhöhe betrug etwa 15 m.
Dem Tempel in östlicher Richtung vorgelagert wurde ein Rundaltar errichtet. Sein Durchmesser beträgt acht Meter. Dieser Altar ist trotz der späteren Drehung der Hauptachse des Tempels in hellenistischer Zeit nicht verändert worden, was seine Bedeutung zeigt.
Heute sind von diesem archaischen Didymaion keine nennenswerten Überreste erhalten, da die Perser nach der Lade-Schlacht (494 v. Chr.) den Tempel geplündert und in Brand gesteckt haben. Das Kultbild wurde damals nach Ekbatana verschleppt und das Orakel verstummte.
Die beeindruckenden Ruinen, die der heutige Besucher zu sehen bekommt, stammen aus hellenistischer und römischer Zeit. Es ist bekannt, dass mit der Neuerrichtung des Tempels nach der Zerstörung durch die Perser (s. o.) im Jahre 313 v. Chr. begonnen wurde. Nach dem Sieg Alexanders des Großen über die Perser wurde es möglich, dass das nach der Lade-Schlacht im Jahre 494 v. Chr. nach Ekbatana verschleppte Kultbild aus Didyma an seinen ursprünglichen Ort zurückkehrte und so der Orakelbetrieb wieder aufgenommen werden konnte.
Das hellenistische Bauwerk erhebt sich auf einer dreieinhalb Meter hohen, siebenstufigen Krepis (Basis) und weist an der Vorderseite eine Treppe mit 14 Stufen auf, die in ihrer Breite den Ausmaßen der innerhalb des Tempels liegenden Bauten entspricht. (s. Abb.)
Diese hohe Basis war nötig, da der hellenistische Tempel sich auf den Fundamenten des archaischen Tempels erhebt, diesen aber in Ausdehnung und Ausgestaltung bei weitem übertrifft. So hat der neue Tempel eine Länge von ca. 110 m und eine Breite von ca. 51 m mit je 21 Säulen an den Längs- und je 10 Säulen an den Querseiten. Von diesen imposanten Säulen, die ca. 20 m hoch waren, stehen heute noch drei in voller Höhe aufrecht. Die Gesamthöhe des hellenistischen Tempels betrug damit etwa 30 m.
Eine weitere Besonderheit stellt die Tatsache dar, dass der Tempel aus verschiedenen Bereichen besteht, die in derselben Achse, jedoch auf unterschiedlichen Bodenniveaus liegen.
Wenn der Besucher den Tempel betritt, muss er zunächst die oben erwähnten 14 Stufen erklimmen, um auf die Tempelbasis zu gelangen. Er befindet sich dann im Pronaos, der durch 12 Säulen und lange reich verzierte Antenmauern geprägt ist. An der Rückseite des Pronaos befinden sich drei Pforten, deren mittlere etwa 6,5 m breit und 14 m hoch ist.
Die Tatsache, dass die Schwelle dieses Tores etwa eineinhalb Meter über dem Bodenniveau liegt, zeigt, dass man von hier aus die dahinter befindliche Orakelhalle (Cresmographeion) nicht betreten konnte. Vielmehr wurden von der Orakelhalle aus, in der sich zwei monumentale Säulen erheben, die Orakelsprüche in den Pronaos hinein verkündet. Die beiden Tore rechts und links vom „Orakeltor“ sind erheblich kleiner und bilden den Eingang zu zwei Gewölbegängen, die den Zugang in den tiefer liegenden Tempelhof – das eigentliche Adyton – ermöglichen. Dies stand jedoch nur Priestern und anderen Bediensteten des Tempels frei.
Der Innenhof (Adyton) selbst war nicht überdacht. Er erstreckt sich auf 22 x 54 m bei einer Höhe von 25 m. An seiner Ostseite befindet sich eine etwa 15 m breite Treppe mit 24 Stufen, die hinauf zur Orakelhalle (Cresmographeion) führt, von der aus die Orakelsprüche in den Pronaos hinein verkündet wurden. Rechts und links des Cresmographeions liegen Korridore, die epigraphisch als „Labyrinth“ bezeichnet werden. Ihre Funktion ist weitestgehend unklar, sie dienten jedoch auch als Zugang zum Tempeldach.
Im westlichen Bereich des Adytons sind noch die Fundamentreste des Naos erkennbar. Der Naos ist der Schutzbau, in dem das Kultbild aufgestellt war. Der Naos war als Prostylos mit vier Säulen ionischer Ordnung gestaltet. Ihm vorgelagert befindet sich der Brunnen mit der Heiligen Quelle.
Trotz stetiger Geldzuwendungen der Kaiser Cäsar, Caligula, Trajan, Hadrian und Commodus wurde der Tempel niemals vollständig vollendet. Man kann dies an der fehlenden Kannellierung einzelner Säulen und an fehlenden Reliefs auf den dafür vorgesehenen Flächen an den Säulenbasen erkennen.
Im Laufe des vierten Jahrhunderts n. Chr. mit der zunehmenden Verbreitung des Christentums verliert der Tempel zunehmend an Bedeutung, bis der Orakelbetrieb schließlich endgültig zum Erliegen kommt. In dieser Zeit wird Didyma Bischofssitz.
Im Jahr 2013 kamen bei Ausgrabungen im Stadtzentrum von Didyma die Fundamente eines weiteren, jedoch deutlich kleineren Tempelbaus zutage. Es handelt sich dabei offenbar um einen Tempel für Artemis, die Schwester des Apollo.
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