Justin der Märtyrer - Philosoph und Kirchenlehrer

Eine schillernde Gestalt des frühen Christentums ist Iustinus, genannt Justin der Märtyrer. Er wurde um das Jahr 100 nach Christus in Flavia Neapolis in der Provinz Samaria (dem heutigen Nablus in Palästina) geboren. Dort erfuhr er eine umfassende philosophische Bildung, die stoische, peripatetische, pythagoreische und platonische Lehren beinhaltete. Justin blieb auch nach seiner Bekehrung zum Christentum stets Philosoph und betrachtete auch das Christentum als philosophische Richtung. Diese steht für ihn in höchstem Maße in Einklang mit den Bestrebungen der menschlichen Vernunft. Dennoch ist das Christentum auch für Justin zugleich eine Religion der Offenbarung. Den Erweis, dass allein das Christentum Wahrheit besitzt, sieht Justin in der Erfüllung von Weissagungen der Propheten. Ein weiterer Grundgedanke seines literarischen Schaffens: Die Kraft Gottes zeige sich im Lebenswandel der Gläubigen, was ebenfalls von der Wahrheit der christlichen Lehren zeuge. Justin war ein klassischer Wanderphilosoph. Sein Missionsfeld war vermutlich das Forum, bzw. die Agora der Städte, in die er jeweils kam. Er stellte sich gerne zu Diskussionen über seine „Philosophie“ zur Verfügung, verteidigte sie und versuchte in seinen Schriften mögliche Einwände von Gegnern vorauszusehen und bereits zu beantworten. Die meisten Informationen über das Leben des Justin besitzen wir aus seinen eigenen Werken, der legendarischen Martyriumserzählung (Martyrium Sancti Iustini et sociorum) und aus der Kirchengeschichte des Eusebius von Cäsarea.

Vermutlich in Folge des Bar-Kochba-Aufstandes gegen die Römer im Jahre 132 n. Chr. verließ Justin Palästina und ging nach Rom, wo er als Lehrer einer christlichen Schule wirkte, was sich aus den Märtyrerakten schließen lässt. Dort werden zwei längere Rom-Aufenthalte erwähnt; wo sich Justin jeweils in der Zwischenzeit aufgehalten hat, ist unbekannt und war der frühkirchlichen Überlieferung anscheinend nicht von großer Bedeutung. Lediglich der Dialog mit dem Juden Tryphon wird in der kleinasiatischen Metropole Ephesos verortet. Im Jahre 165 nach Christus schließlich erlitt Justin in Rom das Martyrium.

Missionar im Philosophenmantel

Justin lebte und wirkte zu einer Zeit, in der die christlichen Gemeinden zunehmend in verschiedene Strömungen zerfallen (z. B. gnostische Einflüsse) und in der ihnen Verfolgung durch den römischen Staat drohte. Justins Anliegen war es daher, einerseits Missverständnisse, die er als Hauptursache für die Verfolgungen sah, bezüglich der Lehren und des Wesens des Christentums bei den Gebildeten seiner Zeit auszuräumen. Andererseits war er ein Wegbereiter platonischer Philosophie im Christentum, indem er eine eigene Logoslehre in Abgrenzung von judenchristlichem Adoptianismus und gnostischer Hypostasenlehre entwarf. Damit legte er einen Grundstein für die spätere Theologie, wie sie sich auf dem Konzil von Chalcedon (451) manifestiert.

Schriften

Das bedeutsamste Werk Justins ist der Dialog mit dem Juden Tryphon. Es handelt sich um das älteste erhaltene Werk, das vom Austausch und Wettstreit der jüdischen und christlichen Religion handelt. Im Dialog thematisiert Justin vor allem das jüdische Gesetz. Die mosaischen Gesetze seien von Gott nur deshalb gegeben worden, weil Israel in Sündhaftigkeit lebte. Dieses Gesetz sei durch Christus überholt und aufgehoben worden. Christen seien das neue geistige Israel, da die Gnadengabe des Geistes nach der Himmelfahrt Christi auf die Christen übergegangen sei.

Die Apologien des Justin sind an Kaiser Antoninus Pius (Regierungszeit 138 – 161 nach Christus) adressiert, sowie an dessen Söhne und den römischen Senat. Justin verteidigt darin das Christentum und versucht, die christliche Wahrheit anhand von platonischer Philosophie und den Propheten zu belegen, die durch ihre eingetretenen Prophezeiungen die Wahrheit bezeugen. Gleichzeitig grenzt er die christliche Lehre gegenüber Häretikern ab und räumt Vorurteile gegen das Christentum aus, indem er den Ablauf und Inhalt christlicher Gottesdienste und Versammlungen genau schildert. Diese Schilderung ist auch deshalb so bedeutsam, weil dort zum ersten Mal die Eucharistie genau beschrieben wird.

Die Überlieferungslage der Schriften Justins ist allerdings äußerst schlecht, da sie nur in einer einzigen Handschrift aus dem Jahr 1364 erhalten sind, die zudem noch lückenhaft ist. Wir wissen auch, dass Justin neben den erhaltenen Werken offenbar noch weitere verfasst hat: Syntagmata (gegen die Irrlehren), Rede gegen die Griechen (ein Werk über philosophische Fragen und die Natur der Dämonen), Elenchos (eine Widerlegung der Griechische Philosophie), Über die Monarchie Gottes, Über die Seele, Psalter und zahlreiche weitere Schriften.

Was unterscheidet Justin von anderen frühen Apologeten?

Justin nimmt die Anschuldigungen und Verleumdungen sehr ernst, die die Römer den Christen entgegen bringen. Er gibt die Schuld für die Verbreitung solcher Unwahrheiten ausschließlich den Juden, die im Christentum eine Verfälschung der jüdischen Religion sehen. Auch durch Falschaussagen von einigen Sklaven christlicher Eigentümer seien diese Vorurteile bekräftigt worden. Justin räumt allerdings ein, dass einige christliche Sekten, insbesondere Gruppen mit gnostischer Prägung, die Schandtaten begingen, die der gesamten Christenheit vorgeworfen würden: Inzest, ritueller Kindermord, Promiskuität etc. (Eine ausführliche Darstellung der antiken Vorwürfe gegen das Christentum ist in unserem Kommentar zu Tertullians Apologeticum XXX enthalten: S. Buck: Tertullian. Apologeticum XXX. Übersetzung und Kommentar. Mit einem Aufsatz über antike Vorwürfe gegen das Christentum ausgehend von Apologeticum VII und VIII, Steinfurt 2021. ) Justin empfiehlt daher der römischen Obrigkeit, die Lebensführung jedes einzelnen Christen zu überprüfen und nicht alle Christen allein ihres Bekenntnisses (nomen ipsum) wegen zu verurteilen. Seit der Zeit des Kaisers Trajan war allein die Zugehörigkeit zum Christentum strafbar, wie wir aus dem Briefwechsel des Plinius mit dem Kaiser erfahren. (vgl. unseren Aufsatz über Christenverfolgungen im Römischen Reich, inkl. dem Orignaltext.)

Einen weiteren wichtigen Gedanken, der für die Schriften Justins prägend ist, stellt die Auffassung dar, die heidnischen Kulte und Religionen seien Erfindungen böser Dämonen. Justin beruft sich hierbei auf Ps 96,53 und auf den Sündenfall. In dieser Argumentation zeigt sich die Nähe Justins zur platonischen Philosophie. Ebenso ist Justins Logoslehre stark platonisch geprägt und verrät seine philosophische Bildung.

Der Prozess gegen Justin im Jahre 165 nach Christus

Eine Schilderung des Gerichtsprozesses gegen Justin findet sich in den sog. Märtyrerakten Justins (acta Sancti Iustini et sociorum). Ein heidnischer Philosoph mit dem Namen Crescens soll Justin den römischen Behörden angezeigt haben, was zum Prozess und schließlich zur Hinrichtung des Kirchenlehrerers führte. Zusammen mit Justin werden sechs seiner Schüler zum Tode verurteilt. Für das Todesurteil werden folgende Gründe angeführt:

  1. das Bekenntnis, Christen zu sein (nomen ipsum, s.o.)
  2. die Verweigerung des Opfers an die heidnischen Götter

Hier zeigt sich die Umsetzung des Trajanischen Erlasses zum Umgang mit den Christen: Nach konkreten Verbrechen, die der als Christ Angeklagte begangen haben soll, wurde nicht gefragt. Für den römischen Staat war klar, dass ein Christ ein illoyaler Staatsbürger ist. Wer beschuldigt wird, Christ zu sein, kann beweisen, dass er dem Römischen Staat loyal gegenüber steht, indem er dem Christentum abschwört und dem Kaiser ein Opfer darbringt. Insbesondere das Kaiseropfer war als Loyalitätsbekundung von großer Bedeutung, und dieses Opfer an einen weltlichen Herrscher verweigerten sich die frühen Christen konsequent.

Die sogenannten Märtyrerakten Justins sind neben der Dokumentation der Prozessese gegen die Christen  in der Mitte des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts noch aus einem anderen Grund bedeutsam für das frühe Christentum. In ihnen findet sich ein frühes „Glaubensbekenntnis“ (mehr über die Entstehung des christlichen Bekenntnisses in unserem Aufsatz Bekenntnisse). Als er gefragt wurde, was denn der Inhalt des christlichen Glaubens sei, antwortet Justin: „Er [sc. der Glaubenssatz] lautet: Wir verehren den Gott der Christen, wir glauben, dass er der einzige Gott ist, Bildner und Schöpfer der ganzen sichtbaren wie auch unsichtbaren Welt von Anfang an. Wir verehren Jesus Christus, Kind Gottes, als unseren Herrn, der – so ist es von den Propheten verkündet worden – zu dem Menschengeschlecht herab kommen wird als ein Herold des Heils und Lehrer schöner Wahrheiten.“ Dieses Bekenntnis Justins ist gleichsam die Essenz seiner Lehren. Es zeigt sich seine Logosvorstellung ebenso wie die Bedeutsamkeit der alttestamentarischen Prophetien und das Eintreten der Prophetien als Beweis für die allumfassende Wahrheit, die im Christentum enthalten ist.

Wirkungsgeschichte: Reliquienverehrung

Bischof Hitto von Freising soll im Jahr 834 anlässlich einer Wallfahrt nach Rom den damaligen Papst Gregor IV. um die Reliquien des Justin gebeten haben. Der Papst gab den Bitten statt und überließ Hitto von Freising sowohl die Gebeine Justins des Märtyrers als auch die Reliquien des Papstes Alexander I. 

Hitto brachte sie daraufhin in seine Bischofsstadt Freising, und auf dem Rückweg ereigneten sich zahlreiche Wunder, die von der Authentizität der Reliquien zeugen sollten. Zunächst wurden die Reliquien jedoch in die Klosterkirche von Weihenstephan gebracht, später erst in den Freisinger Mariendom, wo sie über mehrere Jahrhunderte ruhten. 

Im 18. Jahrhundert kamen die Gebeine Justins schließlich nach Friedberg in Bayern und befinden sich bis heute ebendort in der Wallfahrtskirche zu Unseres Herrn Ruhe.

Der Gedenktag Justins ist der 1. Juni (in der Orthodoxen Kirche der 14. Juni). Justin gilt als der Schutzpatron der Philosophen und Apologeten.


Theologisch bedeutsam ist Justin vor allem wegen seiner Trinitäts- und Logoslehre. In seinen Schriften begegnet zum ersten Mal eine Unterscheidung von Gott als Vater, Sohn und Heiligem Geist. Den Logos begriff Justin als allumfassende göttliche Wahrheit oder Vernunft, die sich sowohl andeutungsweise in der antiken Philosophie als auch in Vollendung in Christus selbst zeigt.