Buchtipp:
Sebastian Buck
Mithras. Geschichte einer Gottheit.
Steinfurt 2021, Paperback, 206 Seiten, zahlr. Abb.
Keiner der zahlreichen heidnischen Kulte und keine antike Religion hat das Christentum in einer Weise herausgefordert und geprägt, wie der Mithraskult. Er gehört zu den spannendsten Bereichen der antiken Religionsgeschichte, und obwohl die einstige Konkurrenzreligion des Christentums heute weitestgehend in Vergessenheit geraten ist, lohnt sich doch ein genauerer Blick auf dieses Phänomen, von dem die christlichen Kirche so vieles übernommen hat.
Doch die Geschichte des Gottes Mithra ist weitaus älter. Den Spuren, die dessen Verehrung durch die Jahrtausende in der Geschichte hinterlassen hat, folgt dieses Buch und beschreitet neue Wege bei der spannenden Suche nach den Ursprüngen des Mithraskults.
Der Mithraskult
Der Mithraskult und das Christentum stammen aus etwa demselben Gebiet, sind auf demselben kulturhistorischen Hintergrund erwachsen. Sie verbreiteten sich zur selben Zeit und waren schnell in allen Teilen des Römischen Reiches zu finden. Neben diesen rein äußerlichen Parallelen sind auch vielerlei inhaltliche Ähnlichkeiten in Kultgestaltung und Lehre vorhanden. Sowohl Mithraskult als auch Christentum haben die altheidnischen Vorstellungen überwunden und bieten dem antiken Menschen eine neue Form persönlicher Religiosität, sie versprechen das individuelle Heil. Diese Parallelen gaben und geben immer wieder Anlass zu den verschiedensten Spekulationen über das (Abhängigkeits-)Verhältnis der beiden Religionen.
„Hätte ein tödliches Missgeschick den Siegeszug des Christentums aufgehalten, dann hätte die Welt dem Mithras gehört.“
(Renan, Marc-Aurèle, S. 579: „Si le christianisme eût été arrêté dans sa croissance par quelque maladie mortelle, le monde eût été mithriaste“.)
Dieser vielzitierte und freilich ein wenig übertriebene Satz von E. Renan, einem französischen Erforscher der Spätantike, zeigt die immense Bedeutung des Mithraskults.
Man könnte die Situation, in der alle Erforschung dieses Phänomens sich befindet, wie folgt ausdrücken: Der Quellenlage, mit der wir vom heutigen Standpunkt aus den Mithraskult rekonstruieren wollen, entspräche ein Blick auf das Christentum nur durch das Alte Testament und die baulichen Zeugnisse gotischer Kirchen. Die entscheidenden Glaubensinhalte des Mithraskults sind verloren oder sie sind niemals festgehalten worden. Alle Forschung beinhaltet also immer ein Stück weit Spekulation.
Ursprünge und Grundlagen des Mithraskults
Raum und Zeit
Die Ursprünge eines Kultes für den Gott Mitra liegen im iranisch-persischen Kulturraum vor der Zeit, da zwischen Persern und Hindus unterschieden wurde, d.h. in dem Raum, der sich von Kleinasien im Westen über den Iran/Irak bis nach Indien im Osten erstreckte. Die Verehrung des Gottes Mitra gibt es wahrscheinlich schon seit Urzeiten, nachweislich aber findet sich eine Erwähnung des Mithra zuerst in einem Vertragstext der Hethiter, einem Volk, das in Zentralkleinasien siedelte, um ca. 1380 v. Chr.
Abb. 1: nachweisliches Auftreten von Mithra-Kulten und -religionen
Die ursprüngliche Bedeutung der Gottheit Mitra
Urzeitliche Wurzeln
Das Wort mitra (altiranisch/altindisch) bedeutet Vertrag, Bund, Treue. Daraus schließt man, dass Mitra ein Gott des Vertrags, der Ehre, der Tugend war. Diese Bedeutung stammt aus der frühesten Zeit der Verehrung des Mitra. Als Beschützer der Wahrheit und der Bündnisse unterstützt er die oberste Gottheit Varuna bzw. Ahura–Mazda, im Kampf gegen das Böse, das im iranischen Raum durch die Gottheit Ahriman verkörpert wird. So wurde es möglich, dass Mitra zu einer allwissenden, alles sehenden Gottheit ausgestaltet und als solcher mit dem himmlischen Licht gleichgesetzt werden konnte; Mitra wird zu einer Lichtgottheit, die auf einem von vier Schimmeln gezogenen Wagen über den Himmel fährt.
Trotzdem war Mitra nur der Helfer der obersten Gottheit und hatte in dieser Frühzeit noch eine relativ untergeordnete Stellung innerhalb des Pantheons. Als sich aber um 1000 v. Chr. die Trennung von indischem und iranischem Kulturraum vollzog, behielt Mitra im sich gerade herausbildenden Hinduismus seine bisherige Stellung, im iranischen Raum hingegen rückte er an die Spitze des Götterkreises. Mithra hatte also an Bedeutung gewonnen.
Nun begann ein weiterer Wesenszug des Mithra sich auszuprägen: Man legte mehr Wert auf das martialische Element des Kämpfers gegen das Böse und so nahmen ihn die Soldaten für sich in Anspruch, ebenso taten es auch die Herrscher. Mithra, der vor Schlachten angerufen wurde, wurde zu deren Beschützer im Kampf.
Zoroastrische, chaldäische und persische Einflüsse
Im System des Zarathustra, dem Zoroastrismus oder Parsismus, wurde die Bedeutung des Mithra stark abgeschwächt. Er wurde als niederer Genius wieder zum Helfer des Ahura–Mazda, der nun wieder zur obersten Gottheit wurde. Trotz dieser Bedeutungsminderung finden sich in den heiligen Texten des Zoroastrismus noch Spuren der früheren Bedeutung des Mithra; trotz der theologischen Bemühungen Mithra dem Ahura–Mazda zu unterstellen scheint im Volksglauben eine Erinnerung an die frühere Bedeutung des Mithra bewahrt worden zu sein. Sogar im Awesta werden Mithra und Ahura–Mazda in engem Zusammenhang genannt und mit gleichen Formeln angebetet. Gleichzeitig mit der Übernahme und Umformung durch das zoroastrische Glaubenssystem wurde der Kultus des Mithra nach strengen Vorschriften reglementiert.
Die Chaldäer, die seit der Wende vom siebten zum sechsten Jahrhundert v. Chr. im Kerngebiet der Verbreitung des Glaubens an Mithra ihr Großreich regierten, besaßen bereits ein geschlossenes theologisches System, das sie innerhalb ihres Reiches verbreiteten. Außerdem waren die Chaldäer berühmt für ihre Kenntnisse in der Astrologie und Astronomie. Diese beiden wichtigen kosmologischen Elemente drangen bald nach der Entstehung des Zoroastrismus in denselben ein und trugen zu dessen weiterer Festigung bei.
Es lässt sich feststellen, dass die Religion des Mithra im Perserreich (etwa im fünften Jahrhundert v. Chr.) gesellschaftliche Strukturen prägte; Soldaten nahmen Mithra für sich als Schutzgott in Anspruch, ebenso taten es die Herrscher. Dies ist inschriftlich z. B. für Artaxerxes I. – III., Xerxes und Darius II. belegt. Spätere Könige leiteten sogar ihre Namen von Mithra ab. Mithra wurde als Verkörperung der Gerechtigkeit, der Tapferkeit und des Edelmutes zum Leitbild des Königtums und der Soldaten und in dieser Funktion auch zum Mittler zwischen König und Heer, er erhielt also eine staatstragende Funktion. In dieser Zeit nahm der Kultus des Mithra schärfere Konturen an. Ihm wurde der siebente Monat des Jahres geheiligt, ebenso auch der sechzehnte Tag jedes Monats, es wurden prunkvolle Zeremonien und Feste zu Ehren Mithras gefeiert, und der Kultus des Mithra wurde klerikalisiert. Aus der chaldäischen Prägung erwachsend, bildete sich eine religiöse Oberschicht von μαγοι (auch μαγουσαιοι genannt), herumziehenden Sterndeutern und Priestern. Bei diesen μαγοι ist durchaus an diejenigen der Weihnachtsgeschichte zu denken. Die Götter des zoroastrischen Glaubenssystems verschmolzen mit denen des chaldäischen; aus dem noch recht primitiven, naturgebundenen und relativ formlosen Kultus des Mithra im Zoroastrismus war durch die Institutionalisierung im Perserreich und durch die Synthese mit der chaldäischen Theologie, insbesondere durch den Einfluss der μαγοι mit ihren astrologischen und astronomischen Kenntnissen eine streng reglementierte, nahezu wissenschaftliche Mithrareligion geworden.
Und es waren eben diese μαγοι, die zur weiteren Verbreitung der Bekanntheit des Mithra beitrugen; sie zogen im gesamten vorderasiatischen Raum herum und ließen sich vielerorts nieder, verkündeten dort ihren Glauben und bewahrten ihn auf diese Weise für einen langen Zeitraum, so dass die mithrische Religion auch nach dem Sturz des Perserreichs vielerorts fortbestehen konnte. Dies gilt in besonderer Weise für Kleinasien.
Der Mithraskult im Imperium Romanum
Kleinasien
Kleinasien wird zum Ausgangspunkt der weiteren Verbreitung der Mithrareligion und zum neuen Zentrum der Verehrung für Mithra. Kleinasien ist ein Raum, der als Grenzbereich zwischen Europa und Asien sowohl von der vorderasiatischen Kultur (also dem Parsismus) als auch vom Gedankengut der hellenistischen Welt geprägt war. In diesem Schmelztiegel der Kulturen kam es zu einer entscheidenden Umformung der Mithrareligion. Diese neue Form der Verehrung und die damit verbundene neue Ausprägung der Gottheit bildeten die Grundlagen für die späteren Mysterien des Mithras. Heute lässt sich nur noch schemenhaft erahnen, welcherart diese Umgestaltung gewesen sein mochte. Genau nachzeichnen lassen sich allerdings nur einzelne Punkte.
Ab dem vierten Jahrhundert v. Chr. lassen sich erste Ansätze einer Hellenisierung der Mithrasreligion in Kleinasien feststellen. Wie schon zuvor wird Mithras dem dort verehrten Sonnengott Apoll, bzw. Helios angenähert. Die ma4goi bemühten sich, ihre Traditionen mit der griechischen Philosophie zu begründen und zu verknüpfen. Dies geschah vor allem auf die Weise, dass man die im Vergleich zu den philosophischen Systemen des Hellenismus recht schlicht anmutenden Inhalte der mithrischen Mythologie als Allegorie der stoischen Kosmologie zu deuten versuchte. Auf diese Weise wurde Mithra wahrscheinlich mehr und mehr zu einer kosmischen Gottheit, die gemeinsam mit dem Sonnengott Helios, oder als mit ihm identische Gottheit, im Kreise der damals bekannten sieben Planeten herrscht.
In dieser Zeit der mehr oder minder ausgeprägten Anpassung müssen sich in Kleinasien die Mysterien herausgebildet haben, in deren Mittelpunkt Mithras als kosmische Schöpfer- und Heilsgottheit steht. Neben diesen Eigenschaften bleibt er jedoch wahrscheinlich weiterhin der Wahrer der Verträge und der Schutzgott der Soldaten. Eine solche Anpassung an westliche Vorstellungen war die Grundsteinlegung für die Übernahme der mithrischen Religion durch die griechisch-römische Welt.
Einführung, Ausbreitung und Etablierung im Imperium Romanum
Nach Plutarch sind die Mithrasmysterien im ersten Jahrhundert v. Chr. durch die kilikischen Seeräuber nach Rom gebracht worden. Cumont hält dies für unbestreitbar, in neuerer Zeit aber nimmt man an, dass sie erst im ersten Jahrhundert n. Chr. durch Sklaven, Händler und v. a. Soldaten Eingang in das Römische Reich, d. h. zunächst in das italische Kerngebiet gefunden haben. Die Soldaten spielen bei der Verbreitung der Mithrasmysterien eine wichtige Rolle. Sie verehren, wie schon in der Frühzeit des Kultus, Mithras als unbesiegbare Gottheit, die Tapferkeit und Edelmut verkörpert. Die Tatsache, dass Soldaten in allen Teilen des Römischen Reiches stationiert waren und die einzelnen Legionen oder Teile der Legionen häufig den Standort wechselten, machte eine schnelle Ausbreitung in allen Teilen des Römischen Reiches möglich. Mithräen, die unterirdischen Heiligtümer des Mithraskults, hat man besonders in Germanien, entlang der Donau und Gallien gefunden, also vorwiegend in den Grenzregionen des Imperium Romanum.
Ebenso wie die Soldaten, so waren auch Sklaven und Händler in allen Teilen des Reiches zu finden, wobei gerade in der Zeit vom ersten vorchristlichen Jahrhundert bis zum ersten Jahrhundert n. Chr. zahlreiche Sklaven aus den gerade unterworfenen vorderasiatischen Gebieten, also aus denjenigen, die das Kerngebiet der Mithrasverehrung darstellen, nach Westen transportiert wurden. Die schnelle Ausbreitung und das damit verbundene schnelle Anwachsen brachten dem Mithraskult eine zunächst nur erzwungene Akzeptanz seitens des römischen Staates ein. Bis zum Ende des zweiten Jahrhunderts n. Chr. gab es keine offizielle Verlautbarung des Staates zum Mithraskult. Erst Kaiser Commodus unterstützte den Mithraskult. Er war der erste römische Kaiser, der sich in die Mysterien des Mithras einweihen ließ. Offenbar verstand er sich als Inkarnation des Mithras. Die Tatsache, dass Mithras nun Zugang zu den höchsten Kreisen des Staates gewonnen hatte, zog einen ungeheuren Popularitätsgewinn für den Mithraskult nach sich und verhalf ihm zu noch mehr Einfluss. Die folgenden Kaiser arrangierten sich mehr und mehr mit dem Mithraskult und nutzten ihn für ihre Zwecke. Die Blütezeit des Mithraskults liegt im zweiten und dritten Jahrhundert n. Chr. In dieser Zeit kann man mit Recht den Mithraskult als „Weltreligion“ bezeichnen. Er zählte zu seinen Anhängern mindestens eben so viele Menschen wie das Christentum zu dieser Zeit.
Der Mithraskult und die römischen Kaiser
Wie in allen Zeiten der Verehrung des Mithra hatte dieser Gott auch in Form des Mysterienkults im Römischen Reich ein enges Verhältnis zu den Herrschern.
Da Mithras vor allem von Soldaten verehrt wurde, die einen erheblichen Machtfaktor innerhalb des Römischen Reiches darstellten, mussten die Kaiser sich mit der neuen Gottheit arrangieren. Aus dieser zunächst nur erzwungenen Akzeptanz wurde seitens der Kaiser schnell ein reges Interesse und Zuneigung. Sie sahen in den monotheistischen Ansätzen dieses Kultes ein Abbild der Herrschaftsverhältnisse auf Erden und benutzten dies zur Legitimation ihrer Alleinherrschaft. Außerdem muss dieser Mysterienkult einen besonderen Reiz auf die Imperatoren ausgeübt haben. In diesem Gott, der strahlend wie die Sonne allen Menschen Wohlergehen bringt und dazu Unbesiegbarkeit verspricht, sahen sie sich selbst.
So kam es dazu, dass der exzentrische Kaiser Commodus sich in der Zeit zwischen 189 n. Chr. und 192 n. Chr. als erster römischer Imperator in die Mysterien des Mithras einweihen ließ.
Nachdem der Sonnengott El-Agabal zum Staatsgott erhoben worden war, war es nur noch ein kleiner Schritt zu dessen Gleichsetzung mit dem ihm so ähnlichen Mithras, zumal der Mithraskult für Außenstehende ohnehin nur eine Sonderform des Kultes des Sonnengottes El-Agabal zu sein schien. Ebenso wurde die Erhebung des Sonnengottes über alle anderen Gottheiten von den Mithrasanhängern begrüßt, da sie in dem Sonnengott, der über allen anderen Göttern stand, ihren Mithras sahen.
Seit dem dritten Jahrhundert n. Chr. dem Zeitpunkt also, zu dem der Mithraskult offizieller Kult der Kaiser geworden war, finden sich zahlreiche Inschriften, die belegen, wie wichtig Mithras für die Kaiser geworden war. Seit dieser Zeit lebte im kaiserlichen Palast ein sacerdos invicti Mithrae domus Augustanae, ein „Hofgeistlicher“ für den Kaiser.
Besonders interessant ist eine Inschrift aus dem Jahre 308, in dem sich die Kaiser Galerius, Maximian und Diocletian in Carnuntum trafen, um die Tetrarchie wiederherzustellen. Aus diesem Anlass erneuerten sie das dort befindliche Mithräum und stifteten folgende Inschrift:
D(eo) S(oli) I(nvicti) M(ithrae) | fautori imperii sui | Iovii et Herculii | Religiosissimi | Augusti et Caesares | Sacrarium | restituerunt
Hier wird deutlich, dass Mithras als Beschützer der kaiserlichen Herrschaft eine staatstragende Funktion erlangt hat. Damit ist der Höhepunkt der Mithrasverehrung erreicht.
Entstehungslinien des röm. Mithraskults
Niedergang des Mithraskults
In der Folgezeit wurde mit dem Verlust einiger Provinzen auch der Glaube an die Unbesiegbarkeit des Mithras gemindert. Ein besonders gravierender Rückschlag aber war der Sieg Konstantins über das Heer des Licinius, das unter dem mithrischen Sonnenkreuz kämpfte. Währenddessen konnte sich das Christentum fast ungehindert weiter ausbreiten. Ein letztes Aufflammen der heidnischen Religion und besonders des Mithraskults gab es dann unter dem Heidenkaiser Julian Apostata, der sich offen zum Mithraizismus bekannte. Vielleicht ist es Ironie des Schicksals, dass er ausgerechnet bei einem Feldzug gegen die Perser ums Leben kam. Mit der Herrschaft des Kaisers Theodosius war der Mithraskult endgültig dem Untergang geweiht. Das Christentum wurde zur Staatsreligion erhoben und alle anderen Kulte verboten. Durch dieses Verbot und die Tatsache, dass sich die Mithras„gemeinden“ nun gewaltsamen, zum Teil grausamen Verfolgungen durch die Christen ausgesetzt sahen, konnten die Zeremonien des Mithraskults von nun an nur noch versteckt und im Geheimen praktiziert werden. Auf diese Weise hielten sich vereinzelt noch Kultgemeinden in allen Teilen des Reiches bis ins sechste nachchristliche Jahrhundert hinein.
Gründe für das Scheitern
Es ist deutlich geworden, dass der Mithraskult die Mängel der kollektiven, allenfalls auf das Staatswohl hin angelegten altheidnischen Religion überwunden hat und dem wachsenden Bedürfnis nach individuellem Heil gerecht wurde. Außerdem wurde Mithras seit Commodus, also seit dem Ende des zweiten Jahrhunderts n. Chr., von den Kaisern des Römischen Reiches verehrt und sein Kult gefördert. Angesichts dieser Tatsache, sowie den vielen auffälligen Parallelen zum Christentum drängt sich nun die Frage auf, warum der Mithraskult im Dunkel der Geschichte versunken ist.
Ein wesentlicher Grund dafür, dass sich der Mithraskult nicht durchgesetzt hat, ist die Tatsache, dass er nicht überregional organisiert war; es gab unter den einzelnen Kultgemeinden kaum Austausch und keine übergeordnete Instanz, so dass die Mithras-„Gemeinden“ – so weit sie auch verbreitet waren – doch isolierte Phänomene darstellten.
Ein erheblicher Nachteil im Vergleich zum Christentum war ebenfalls, dass der Mithraskult nur Männern zugänglich war, Frauen jedoch versperrt blieb. Der Mithraizismus hätte sich also in seiner relativ starren Form niemals zu einer umfassenden und beständigen Religion ausweiten können.
Wichtig ist auch die Tatsache, dass die Gottheit Mithras ihren Anhängern Unbesiegbarkeit versprach. Mit dem Zerfall des Römischen Reiches, dem Verlust von Provinzen und durch die Einfälle von fremden Völkern in das Reich aber wurde die Glaubwürdigkeit der Unbesiegbarkeit zunehmend in Frage gestellt. Ein wesentlicher Aspekt der anfänglichen Attraktivität des Mithraskults ging verloren.
Der wesentliche Gesichtspunkt aber ist die Tatsache, dass seit Konstantin das Christentum die bevorzugte Religion im römischen Staate war. Dadurch wurde den anderen Kulten die Existenz wesentlich erschwert. Vielleicht hat das Christentum auch die Ansätze, die im Mithraskult bereits angelegt waren, kompromissloser umgesetzt. So ist der Mithraskult zwar vorwiegend monotheistisch angelegt, es gibt aber neben Mithras auch noch andere Gottheiten, die verehrt werden. Außerdem lehnt der Mithraskult die Zugehörigkeit zu anderen Kulten und Verehrung anderer Gottheiten nicht ab. Das Christentum hingegen ist in seinem Monotheismus wesentlich radikaler. Es verbietet die Verehrung anderer Götter. Das bedeutet, dass der Mithraskult trotz aller neuen Impulse, die er in Abgrenzung zur heidnischen Religiosität bot, dennoch mit dieser verwoben blieb und ohne sie nicht denkbar wäre. Diese Form der Religiosität bot den Menschen auf Dauer jedoch nicht die Befriedigung ihrer neuen religiösen Bedürfnisse, die mit dem in der Spätantike zunehmenden Ich-Bewusstsein wuchsen. Hier war das Christentum mit seiner allein auf die einzelne Person angelegten Natur deutlich im Vorteil.
Die Mithrasmysterien
Über die genauen Zeremonien der Kultfeiern und die eigentlichen Inhalte des Mithraskults ist nur wenig bekannt, da die Glaubensinhalte geheim waren und aus diesem Grunde vielleicht niemals schriftlich festgehalten worden sind. Die einzigen gesicherten Zeugnisse für den Mithraskult sind wüste Beschimpfungen in apologetischen Schriften, aus denen wir nur ein sehr bruchstückhaftes und negativ gefärbtes Bild erhalten, archäologische Relikte, Weihinschriften auf Kultgegenständen und besonders die sogenannten Mithräen, unterirdische höhlenartige Tempel, in denen die Anhänger des Mithraskults sich trafen und ihre Kultzeremonien feierten. Viele dieser Mithräen sind gerade deswegen, weil sie unterirdisch angelegt worden sind, gut erhalten.
Diese Mithräen waren wie die gesamte mithrische Kunst im großen und ganzen in Form und Ausgestaltung stereotyp. Ein Mithräum ist ein länglicher Raum mit gewölbter Decke. Vermutlich handelt es sich bei dieser Wölbung um ein Symbol des Himmels. An zentraler Stelle im Mithräum war ein Kultbild aufgestellt, das hauptsächlich zeigt, wie Mithras einen Stier tötet.
Mithraskultbild mit Tauroktonieszene
Der Mythos von Mithras
Die Theorie des Franz Cumont
Anhand dieser Kultsteine lässt sich der Inhalt des Mithras-Mythos rekonstruieren. Allerdings gehen gerade in Bezug auf die Dinge, die man aus den Kultsteinen ablesen kann, die Meinungen weit auseinander. Wesentlich und ernstzunehmen sind zwei Theorien: Die ältere und lange Zeit unumstrittene des Franz Cumont und die in jüngerer Zeit von David Ulansey aufgestellte. Im Folgenden werde ich zunächst Cumonts Theorie darlegen:
Mithras wird als Verkörperung des Lichts aus einem Felsen in die Dunkelheit hinein geboren.2 Sein Kopf ist bedeckt mit einer phrygischen Mütze, er hält Messer und Fackel in den Händen. Dies sind Zeichen seiner Vorherbestimmung zur Stiertötung und seiner Funktion als Lichtgottheit. Da Mithras nackt geboren wurde und Winde heftig stürmen, klettert er in eine Baumkrone. Dort schneidet er sich Früchte ab und isst sie. Hierdurch gewinnt Mithras an Kraft. Auf diese Weise erstarkt irrt er durch die Welt, um ein Wesen zu suchen, mit dem er seine Kraft messen kann. Schließlich findet er den Urstier, der eine Verkörperung des Bösen ist. Mithras packt den Stier bei den Hörnern und setzt sich auf dessen Rücken. Der Stier versucht ihn abzuwerfen und verausgabt seine Kräfte. Als der Stier erschöpft ist, nimmt Mithras dessen Hinterhufe und schleift ihn auf dem Rücken in eine Höhle, wo er den Stier einsperrt. Nachdem er den Stier auf diese Weise besiegt hat, sucht Mithras erneut nach jemandem, mit dem er seine Kraft messen kann und stößt auf den Sonnengott Helios oder Sol, mit dem er ebenfalls zu kämpfen beginnt. Mithras besiegt ihn, und Helios/Sol wird daraufhin von Mithras mit der Strahlenkrone bekränzt. Mithras befiehlt Helios/Sol, auf einer Bahn über den Himmel zu fahren, sie reichen sich die Hände als Zeichen der Freundschaft und gegenseitiger Unterstützung. Währenddessen entwischt der Stier aus der Höhle. Dies bemerkt Helios/Sol, der Wächter über die Welt, und schickt seinen Boten, den Raben, um Mithras zu verkünden, dass er den Stier töten soll. Mithras befolgt den Befehl widerwillig und jagt den Stier mit seinem Hund durch die gesamte Welt. Schließlich fängt er den Stier, als dieser wieder in die Höhle zurückgekehrt ist, um sich dort zu verbergen. Mithras packt den Stier bei den Nüstern, reißt dessen Kopf zurück, springt auf den Rücken des Stieres und stößt ihm das Messer in die Flanke. Er wendet sich dabei ab, woraus Cumont schließt, dass er die Tötung nur widerwillig vollzieht. Nun ereignet sich etwas, das Cumont als „außerordentliches Wunder“ bezeichnet: aus dem Körper des sterbenden Stieres gehen alle nützlichen Pflanzen hervor. Dies wird nach Cumont im Kultbild dadurch angedeutet, dass aus dem Schwanz des Stieres Ähren und aus seinem Blut Wein hervorgehen. Der Samen des Stieres bringt die verschiedenen Nutztiere hervor. Allerdings versuchen einige chthonische Kreaturen (Skorpion und Schlange) etwas von dem Samen des Stieres und vom Blut aufzufangen. Diese Lebewesen stellen das in der Welt verbliebene Böse dar. Im Tod steigt die Seele des Stieres in himmlische Sphären auf. Durch dieses Ereignis also wird Mithras indirekt zum Schöpfer aller Guten Dinge auf der Erde.
Inzwischen ist das erste Menschenpaar entstanden, die bösen Mächte jedoch versuchen sie zu töten. Deshalb muss Mithras weiterhin gegen sie ankämpfen. Es kommt allerdings zu einer Trockenheitsperiode, welche die Menschen dazu veranlasst, Mithras um Hilfe anzuflehen. Mithras erbarmt sich und schlägt mit einem Pfeil Wasser aus einem Stein. Damit geben die bösen Mächte sich geschlagen, und Mithras gewährt den Menschen ein friedvolles Leben.
Dies ist das Ende des irdischen Wirkens des Mithras. Aus diesem Anlass findet die Feier eines Abschiedsmahles mit Helios/Sol und den Helfern des Mithras, Cautes und Cautopates, statt. Danach steigt Mithras mit Helios/Sol auf den Sonnenwagen und fährt mit ihm über den Himmel. Von dort aus wacht er über das Wohl derjenigen Menschen, die ihn verehren.
Soweit der Mythos von Mithras nach Franz Cumont. Diese Auffassung der Kultbilder des Mithraskults birgt allerdings einige Ungereimtheiten und wirkt konstruiert und willkürlich.
Die Theorie des David Ulansey
Eine andere mögliche Auffassung der Kultbilder bietet David Ulansey3. Er betrachtet die bildlichen Darstellungen auf den Kultsteinen als Sternenkarte und begründet dies damit, dass sämtlichen Figuren, die abgebildet sind, ein Gegenstück am Sternenhimmel besäßen.vi Für ihn belegen die Kultbilder das geheime Wissen um die Bedeutung der sogenannten Präzession der Äquinoktien. Hierbei handelt es sich um das Phänomen, dass sich die Punkte der Frühlings- und Herbsttagundnachtgleiche im Laufe der Jahrtausende am Himmel verschieben, das der griechische Astronom Hipparch um 130 v. Chr. entdeckt hatte. Die Äquinoktien wandern rückwärts durch den Tierkreis und verschieben sich in je 2160 Jahren von einem Sternbild ins nächste, so dass der gesamte Tierkreis in 25920 Jahren durchlaufen wird. Die auf den Kultsteinen des Mithraskults dargestellte Tauroktonieszene bringt demnach zum Ausdruck, dass dasjenige Sternbild, in dem die Frühlingstagundnachtgleiche zuletzt lag, das des Stieres ist. Ulansey meint, dass eine Gruppe stoischer Intellektueller, die der Stoa gemäß mit der Astrologie vertraut war, – vermutlich aus der kilikischen Hauptstadt Tarsos – im zweiten oder ersten Jahrhundert v. Chr. von der Präzession erfuhr und dieses Phänomen, bzw. die Macht, diese kosmische Bewegung zu vollführen, einer Gottheit zuschrieb, nämlich Perseus. Der nämlich war eine Art Schutzpatron von Tarsos und außerdem als Sternbild mit kosmischer Macht leicht in Verbindung zu bringen. Auf den Kultbildern des Mithraskults sieht man Mithras, eine Figur mit phrygischer Mütze, mit der auch Perseus dargestellt wird, oberhalb des Stieres, den er tötet. Einerseits weist dies auf die tatsächliche Position des Sternbildes Perseus oberhalb des Sternbildes Taurus hin, im übertragenen Sinne jedoch zeigen die Kultbilder durch die Tatsache, dass Mithras den Stier tötet, dass das Zeitalter, in dem das Frühlingsäquinoktium im Sternbild Taurus lag, vorbei ist.
Ausgestaltung der Mysterien
Welchen Inhalts auch immer das mysterion des Mithraskults gewesen sein mag, wissen wir doch um die Ausgestaltung des Kultgeschehens umso mehr.
Um an dem Wohl teilhaben zu können, das die mächtige Gottheit, die (nach Cumont) den Stier tötet oder aber (nach Ulansey) für die Präzession der Äquinoktien verantwortlich ist, muss man in den engeren Kreis des Mithraskults aufgenommen werden. Die Aufnahmezeremonie wird Initiation genannt. Bevor sie jedoch stattfindet, muss der Initiand einen längeren Unterricht in der mithrischen Lehre absolvieren. Erst danach kann die Initiation vollzogen werden. Dies geschah einerseits durch eine Taufe, die nach einiger Zeit durch eine Art Konfirmation bekräftigt werden muss und andererseits durch körperliche Proben und Selbstzüchtigungen, die sehr hart gewesen sind, über die aber nichts genaues bekannt ist. Nach dieser Initiation konnte man sieben Weihestufen durchlaufen, wobei jeder Stufe eine Figur auf dem Kultbild entspricht:
Die unterste Stufe hieß Corax (Rabe) und symbolisierte den Raben auf dem Umhang des Mithras. Die nächste Stufe hieß Nymphus (Verlobter) und wurde mit der Schlange assoziiert. Danach kam der Miles (Soldat), der den Skorpion verkörperte. Die nächsthöhere Weihestufe war Leo (Löwe), der sich auf dem Kultbild als Hund wiederfand. Die fünfte Weihestufe war Perses (Perser), der dem Cautopates auf dem Kultbild entspricht. Die zweithöchste Stufe war der Heliodromus (Sonnenläufer), dargestellt durch Cautes. Und die höchste Weihestufe schließlich war der Pater (Vater), der den Mithras verkörperte. Der Großteil der Gläubigen jedoch nahm die unteren Stufen ein. Der Pater als oberster Priester einer jeweiligen Gemeinschaft und gleichzeitig Stellvertreter des Mithras hatte die Leitung einer jeweiligen Mithras„gemeinde“ inne. Die verschiedenen Weihestufen entsprechen dem Aufstieg der Seele zum Göttlichen.
Bei der Aufnahme eines Kultanhängers in eine neue Stufe war der Initiand gemäß der neuen Stufe, das heißt als Rabe, als Soldat usw., verkleidet. Außerdem waren jeder Weihestufe verschiedene Symbole zugeordnet. Dies machte das Kultgeschehen und das komplizierte System, das dahinter stand anschaulich und eröffnet einen Zugang auch für einfache Menschen. Als weitere Veranschaulichung des Heilsgeschehens diente das rituelle Gemeinschaftsmahl aus Brot und Wein, das bei den Zusammenkünften im Andenken an das Abschiedsmahl des Mithras gefeiert wurde. Mit diesem Mahl nahm der einzelne Anhänger des Mithraskults das Heil des Mithras in sich auf. Dies ist ein typisches Merkmal der Mysterienkulte. Der Eingeweihte sollte etwas erleben; das Kultgeschehen war nicht nur auf das rationelle Verstehen hin angelegt.
Innerhalb des Kultes wurde von den Anhängern eine streng ethische Lebensführung erwartet, die den Einzelnen dazu bewegen sollten, in der Nachfolge des Mithras das Gute zu tun. Durch die gemeinsame Aufgabe des guten Handelns und der Hingabe innerhalb des Kultes entstand unter den Anhängern des Mithraskults ein enges Gemeinschaftsgefühl, das durch die Enge des Kultraumes noch unterstützt wurde. Der Kult war also auf den Einzelnen hin angelegt; das durch Initiation und Gemeinschaftsmahl erlangte Heil führte dazu, dass der einzelne Gläubige sich Hoffnungen auf ein Weiterleben nach dem Tod im Himmel machen konnte.
Gemeinsamkeiten von Mithraskult und Christentum
Wie schon angedeutet gibt es einige mehr oder minder augenscheinliche Parallelen zwischen Mithraskult und Christentum. Beide sind Erlösungsreligionen, die dem Einzelnen dadurch, dass dieser dem Gott in seinem Tun nachfolgt, Heil versprechen. Beide Kulte kennen das Motiv der leidenden Gottheit. So entspricht dem christlichen „Das-Kreuz-auf-sich-Nehmen“ Jesu Mithras´ mühsames Tragen des Stieres durch die ganze Welt.
Jesus wie Mithras sind Götter, die das Licht verkörpern. Dies schlägt sich in der Lichtsymbolik beider Kulte nieder, z.B. an der Tatsache, dass der Geburtstag Jesu wie auch der Geburtstag des Mithras am Tag der Wintersonnenwende, dem 25. Dezember gefeiert wird.
Neben diesen Gemeinsamkeiten in der Lehre stehen die Parallelen in der Ausgestaltung der Kultpraxis. Vor allem ist dies natürlich die Taufe zur Aufnahme in die religiöse Gemeinschaft, der ein Katechumenat vorausgeht und der eine Konfirmation folgt. Des weiteren gibt es in beiden Gemeinschaften ein Abendmahl mit Brot und Wein, das dem Erlangen persönlichen Heils dient. Beide Kulte verlangen vom Gläubigen eine streng ethische Lebensführung, in der Nachfolge der Gottheit (Jesus, bzw. Mithras) gesehen wird.
Parallelen gibt es aber auch in der Symbolik. So hat das Sonnenkreuz des Mithraskults starke Ähnlichkeit mit dem Christusmonogramm.
Ist Mithra identisch mit Mithras?
Die Theorie des Franz Cumont behauptet eben dies. Jedoch kam es in neuerer Zeit zu mannigfaltiger Kritik an dieser These. Ich will nur einige Punkte herausgreifen, die mir selbst äußerst kritikwürdig erscheinen.
Zunächst leuchtet die Kritik ein, dass in Cumonts These viele Dinge konstruiert und weit hergeholt wirken. Cumont muss behaupten, dass sämtliche Elemente, die uns im Mithraskult begegnen, bereits im persischen Glauben an Mithra angelegt sind, damit er seine These von der Gleichheit von Mithra und Mithras aufrecht erhalten kann. Besonders gilt dies natürlich für das zentrale Motiv der Mysterien, den Stier. Doch zieht er hier weit weniger bedeutende Quellen heran, als er es tut, um andere weit weniger wichtige Elemente der Mysterien auf altorientalische Vorstellungen zurückzuführen; in Bezug auf den Stier scheint die Quellenlage bei weitem nicht so gut zu sein, wie bei anderen, unbedeutenderen Elementen. Im von Cumont in diesem Zusammenhang zitierten Bundahishn wird tatsächlich die Schaffung eines „Urstieres“ durch Ahura-Mazda beschrieben, doch wird dieser Stier nicht etwa von Mithra, oder Ahura-Mazda selbst getötet oder von einer Gottheit, die in sonstiger Weise mit Mithra assoziiert werden kann, sondern ausgerechnet von Ahriman, der Verkörperung des Bösen, der Gottheit, die der Stärkste Widersacher des Mithra ist.
Ein weiterer Kritikpunkt an Cumonts Theorie ist der, dass sich aus der Verehrung des Mithra im iranisch-indischen Kulturraum noch nicht die Entstehung der Mysterien und die letztendliche Ausprägung des Kultes erklären lassen. Dies sind im Wesentlichen Elemente, die auf die Einflüsse zurückzuführen sind, die in Kleinasien in den Kultus des Mithra eingedrungen sind. Zu behaupten, dass diese Ausprägungen dem iranisch-indischen Glauben an Mithra völlig fehlen, ist allerdings unangebracht. Im Parsismus nämlich gibt es eine dem Mithraskult sehr ähnliche Initiationszeremonie, die sich explizit auf Yäšt X, die Hymne an Mithra, beruft und in der dort beschriebenen Weise begangen wird.
Resümee
Mithraskult und Christentum verbreiteten sich unter sehr ähnlichen Bedingungen und zur selben Zeit. Beide Religionen stammen aus dem Orient und haben seit dem zweiten Jahrhundert n. Chr. Anhänger in allen Teilen des römischen Reiches. Beide Religionen nehmen das Heil des Einzelnen in den Blick und sind in diesem Punkt völlig verschieden von der herkömmlichen heidnischen Religion. Außerdem und haben beide Kulte ähnliche Ausformungen des Kultes und in der Symbolik.
Diese Ähnlichkeiten gaben Anlass zu den abstrusesten Theorien, die aber wenig ernstzunehmen sind. Bis in die 1980er Jahre hinein war die Theorie von der rein orientalischen Herkunft des Mithraskults, die Franz Cumont am Ende des 19. Jahrhunderts aufstellte, unumstritten. 1989 erschien David Ulanseys Abhandlung „The Origins of Mithraic Mysteries“, in der er seine Theorie darlegt, die besagt, dass die Kultbilder in erster Linie als Sternenkarten zu lesen seien.
Viele Fragen bleiben offen, aber das Wissen um den Mithraskult ist wichtig, um die Entstehung und Ausbreitung des Christentums besser verstehen zu können.
Sebastian Buck
Mithras
Geschichte einer Gottheit
Steinfurt 2021
Paperback, 206 Seiten, zahlr. Abb.
15,80 €
Keiner der zahlreichen heidnischen Kulte und keine antike Religion hat das Christentum in einer Weise herausgefordert und geprägt, wie der Mithraskult. Er gehört zu den spannendsten Bereichen der antiken Religionsgeschichte, und obwohl die einstige Konkurrenzreligion des Christentums heute weitestgehend in Vergessenheit geraten ist, lohnt sich doch ein genauerer Blick auf dieses Phänomen, von dem die christlichen Kirche so vieles übernommen hat.
Doch die Geschichte des Gottes Mithra ist weitaus älter. Den Spuren, die dessen Verehrung durch die Jahrtausende in der Geschichte hinterlassen hat, folgt dieses Buch.